(Kurzes) Feedback zu Bachmann

Ich wurde um Hilfe gebeten in einer literarischen Angelegenheit. Es geht um den Bachmannwettbewerb, um den Gewinnertext. Der, der mich um Hilfe bittet, hat ein Verständnisproblem. Ihm fehlt der „rote Faden“. Er hat „Mühe, den Text zu verstehen“. Er würde sich „über ein (kurzes) Feedback freuen“.

Ob ich helfen kann? Und ob!

Ich habe da nämlich mal einen Kurs besucht. Wer’s mag, der mühsam zu verstehende Text ohne roten Faden, der hier beanstandet wird, heißt „Der Schrank“ und wurde von Brigit Birnbacher verfasst und in Klagenfurt vorgetragen. Kann man bequem per Mausklick herunterladen und überall auf der Welt lesen (auch mobil). Für das Verständnis des vorliegenden Hilfstexts ist die Lektüre der Primärquelle jedoch nicht erforderlich. Die sieben Punkte, die jetzt gleich kommen, gelten für alle Texte dieser Art. Und da, wo sie doch nicht gelten, ist es auch egal.

Startklar? Also, los geht’s!

Ich würde den Text, um mit Edgar Allen Poe zu sprechen, als Kurzgeschichte bezeichnen, also als Text, der „in one sitting“ gelesen werden kann, was ich für mich mit „auf dem Klo“ zu übersetzen pflege.

Ich habe den Text geprüft: Es geht um einen Schrank.

Ach, bevor wir zum Schrank kommen, noch ein paar Worte zu meiner Qualifikation. Ich bin kein Literaturkritiker, ich will auch gar keiner sein. Die sieben Punkte, die nun gleich folgen, habe ich folglich auch nicht in einem Kurs für angehende Literaturkritiker entnommen, sondern in einem für Leute gelernt, die am Telefon mit aufgebrachten Kunden zu tun haben. „Erfolgreich telefonieren“ oder „Beschwerdemanagement leicht gemacht“, irgendwie so wird der Kurs wohl genannt worden sein, wie genau, ist egal, es kommt schließlich auf den Inhalt an und der passt immer, egal, ob ich es nun mit einem fragwürdigen Angebot im Zusammenhang mit Telemediendiensten zu tun habe, mit einer nicht die Erwartung erfüllt habenden Zustellung oder, wie im vorliegenden Fall, mit Literatur ohne roten Faden.

Die sieben Schritte, so die Seminarleiterin, funktionieren bei jeder Reklamation.

Der erste Schritt: Bedanken.

Also, lieber Leser, lieber Kunde, vielen Dank, dass du den Schrank nicht einfach zurück und ihm womöglich eine schlechte Bewertung gibst! Vielen Dank, dass du dich an mich wendest und mir die Gelegenheit gibst, mit dir zusammen eine konstruktive Lösung zu finden! (Dass ich „den Schrank“ nicht geschrieben habe, ja bis gerade eben nicht einmal gelesen hatte, darf hier keine Rolle spielen. Auf keinen Fall soll derjenige, der die Beschwerde annimmt, demjenigen, der sie abgibt, damit kommen, er sei nicht zuständig; natürlich bin ich zuständig; ich bin immer zuständig. Sobald das Telefon klingelt oder das Chat-Fenster aufgeht, ist es MEIN Text“).

Der zweite Schritt: Verständnis zeigen.

Lieber Kunde, I feel you! Ein roter Faden ist wichtig! Verständnis ist wichtig! Gerade in der heutigen Zeit! Mühe hingegen, ganz besonders die Sorte Mühe, die nicht zum Erfolg, also zum Verständnis führt, nervt… Ich kann ein Lied davon singen! Wer kann das nicht! Wäre mir so ein Text untergekommen, ich hätte mich auch gefragt, was ich damit soll! Umso mehr, Danke, dass du dich an mich wendest und mir die Chance gibst, den Text zu erklären!

Der dritte Schritt: Hilfe in Aussicht stellen.

So ärgerlich dein Anliegen ist, so gewöhnlich ist es auch! Wir haben hier ständig mit Texten zu tun, die wir nicht verstehen! Wir haben schon vielen Leuten wie dir dabei geholfen, die ihnen vorliegenden Texte doch noch zu verstehen! Ich habe das gelernt! Du bist bei der richtigen Adresse gelandet! Ich bin mir ziemlich sicher, am Ende wirst auch du mit deinem Text zufrieden sein und ich hoffe sehr, dass du rückblickend sagen wirst: Die Auseinandersetzung mit diesem Text hat sich doch jetzt mal richtig gelohnt!!!

Der vierte Schritt: Einverständnis abholen für die nächsten Schritte.

Bevor ich hier die ganze Aufmerksamkeit für mich beanspruche: Bist du mit dem Verlauf unseres Dialogs zufrieden? Gefällt dir die Aussicht, dass Hilfe für dein Verständnis mit dem Text in Aussicht steht? Bist du bereit, diesen Weg zusammen mit mir zu gehen? Ist es okay für dich, wenn wir jetzt zusammen über den Text vom Schrank sprechen und ich versuche, dir zu erklären, worum es geht? Super! Danke! Kann man gar nicht oft genug sagen!

Der fünfte Schritt: Die Lösung unterbreiten.

Im Prinzip ist es ganz einfach! In der, salopp gesagt, Klogeschichte „Der Schrank“ geht es um einen Schrank! Dieser Schrank steht auf einmal unvermittelt in einem Mietshaus im gemeinschaftlich genutzten Flur! Gekoppelt ist dieses Ereignis an die Ankunft eines außenstehenden Beobachters, dessen Auftrag es ist, die bestehenden Verhältnisse im Mietshaus, insbesondere die prekär Beschäftigter zu erkunden! Die Ich-Erzählerin, beflügelt von diesen beiden Ereignissen sowie dem eigenen 35-jährigen Geburtstag, versucht sich ihrerseits an einer Beobachtung der Verhältnisse, wobei weniger das eigene Schicksal im Mittelpunkt steht, sondern vielmehr das eines namenlosen Paketboten, der dem Anschein nach vor einiger Zeit nahe ihrer Wohnung unvermittelt gestorben ist! Beflügelt ist vielleicht nicht das richtige Wort! Eigentlich ist sie eher ein bisschen in sich zurückgezogen! Achtung, ab hier bewegen wir uns schon im Bereich der Interpretation! Also eigentlich der Spekulation! Ob das für dich wichtig ist oder eher nice to have darfst du selber entscheiden! Du darfst dir auch eine eigene Interpretation zurechtlegen, so ein Stück Literatur unterliegt schließlich keinerlei EULA oder AGB oder sonstigen Beschränkungen! Der Schrank ist veröffentlicht! Er ist öffentlich! Er gehört jetzt dir! Hier ist, was ich aus der Geschichte ziehe: Mit dem Boten und dem Schrank bietet die Erzählerin zwei mögliche Auswege aus den bestehenden Verhältnissen, man könnte, A, daran zu Grunde gehen oder, B, sich in den aus einer untergegangenen Epoche, die in der gegenwärtigen Szenerie als fremd und befremdend wahrgenommen wird stammenden Schrank zurückziehen, sich also der Partizipation an den neuen Verhältnissen verweigern! Weiterführende Stichworte: Eskapismus, Historizismus, Gesang! Wie sich die Erzählerin entscheiden wird, ob sie sich überhaupt entscheidet, bleibt offen! Das ist oft so bei dieser Art Text!

Der sechste Schritt: Nachfragen, ob die Lösung so akzeptabel ist.

Lieber Kunde, passt das so für dich? Ich hoffe sehr, denn mehr kann ich im Moment leider nicht für dich tun! Wenn du tiefer in die Materie einsteigen willst, gibt es aber noch zwei Dinge, die du selbst unternehmen kannst! Du kannst, erstens, deine eigene Lebenssituation mit der der Ich-Erzählerin abgleichen und dich, zweitens, fragen, ob du dich darin wiedererkennst! Ja? Und du hast trotzdem immer noch Mühe mit dem Verständnis der Geschichte? Dann steckst du vielleicht selbst zu tief in den negativen Auswirkungen von New Work, um dich als in einem Schrank singende oder tot auf dem Abstandsgrün liegende Leiche zu sehen! In dem Fall bitte an der Selbsterkenntnis arbeiten! Nein? Dann bist du vielleicht, ohne es zu wissen, Teil des Problems! Kein Vorwurf1 Für’s Erste bist du dann wohl noch fein raus! Hoffentlich reicht’s bis zur Rente!

Der siebte Schritt: Verabschieden und um weiterhin gute Zusammenarbeit bitten:

Ich hoffe sehr, ich konnte dir mit deinem Text „Der Schrank“ von Birgit Birnbacher weiterhelfen! Viel Spaß noch damit! Wer weiß, vielleicht nimmst du ihn ja hin und wieder noch einmal in die Hand und findest ein bisschen Erhellung im sicherlich manchmal auch etwas dunklen Alltag! Wenn dir der Text gefallen hat, hoffe ich, dass du bald noch mehr Texte liest! Jeden Tag erscheinen viele neue Texte, nicht nur für’s Klo, auch für den Strand, für den Urlaub und auch zum Verschenken! Ich hoffe auch, dass ich dir heute ganz persönlich weiterhelfen konnte! Wenn ja, freue ich mich über eine positive Bewertung! Ich wünsche dir noch einen ganz tollen Tag!

Einmal über die Alpen fahren mit dem Fahrrad (Teil 4)

„Papa!“
Es ist Samstag Morgen, man könnte ausschlafen, aber man hat ja Kinder.
„Papa!“

Ich drücke die Augen zusammen, ganz fest. Mit einem Ruck entfernt meine Tochter die störende Decke und trägt ihr Anliegen vor.

„Papa! Papa! Da ist jemand.“
Ich seufze.
„Komm kuscheln.“
„Aber da ist jemand.“
„Komm zu mir ins Bett. Hier ist niemand außer uns.“
„Aber da ist wirklich jemand. Im Klo. Eine Frau.“
„So, so.“
„Papa, du musst jetzt aber wirklich kommen.“

Unsere Kinder sind jetzt sieben und fünf. Gemeinsam mit meiner Frau verfüge ich damit über die erstaunliche Menge von 24 Mannjahren Erziehungsarbeit. Nicht genug, um eine Ahnung davon zu haben, wie das eigentlich richtig geht, aber immerhin genug, um eins zu wissen: Wann es Zeit ist aufzugeben. Samstag früh ist so eine Zeit. Wenn sie wach sind, sind sie wach und wenn sie wach sind, hat niemand hier das Recht, nicht wach zu sein. Zu gewinnen gibt es hier nichts. Das einzige, was jetzt vielleicht noch geht, ist das Unvermeidliche herauszuzögern.

„So, so“, sage ich, „erzähl mir mehr davon.“
„Auf dem Klo ist eine Frau und redet die ganze Zeit.“
„So, so.“
„Du musst kommen.“
„Mhm. Und was redet die denn?“
„So Sachen.“
„So, so.“
„Komm jetzt“, sagt meine Tochter, nimmt meine Hand und zieht mich aus dem Bett.

Also komme ich und was soll ich sagen? Vor der verschlossenen Tür unseres Gäste-WCs angekommen, muss ich meiner Tochter recht geben. Es hört sich tatsächlich so an, wie von ihr beschrieben: Bei uns auf dem Klo sitzt eine Frau und redet.

„Wer ist die?“, frage ich meine Tochter.
„Keine Ahnung“, sagt sie.

Ich lege ein Ohr an die Tür und lausche. Eindeutig eine Frauenstimme. Jetzt, mit dem Ohr an der Tür, verstehe ich auch, was die fremde Frau für Sachen redet. Sie sagt Zahlen auf.

„Runde 13“, höre ich die Frau sagen. „26 Sekunden.“
„Geht das schon länger so?“, frage ich.
„Schon die ganze Zeit.“
„Und hast du mal reingeschaut?“
„Papa, ich habe Angst.“
„Du musst keine Angst haben.“
„Dann mach jetzt die Tür auf.“
„Runde 14“, sagt die Frau. „20 Sekunden.“
„Mama ist das nicht“, sage ich.
„Soll ich sie mal holen?“
„Nein“, sage ich. „Das schaffen wir allein.“
„Runde 15. Dreizehn Sekunden.“
„Gehst du da jetzt rein oder nicht?“, verlangt meine Tochter zu wissen.
„Ich weiß nicht.“
„Runde 16. Acht Sekunden.“

Wer auch immer die Frau sein mag, die auf unserem Gästeklo Runden dreht: Sie wird immer schneller.

„Runde 17. Drei Sekunden.“

Ich beschließe, dass ein Mann tun muss, was ein Mann tun muss, bevor die da drin noch abhebt, öffne die Tür und finde: Unser Gäste-WC leer vor. Das heißt, leer, wenn man von meinem Handy absieht, das auf dem Waschbecken liegt. Ich nehme es in die Hand, entsperre es und sehe, dass eine App geöffnet ist, die ich erst gestern heruntergeladen habe.

„Komm mal mit“, sage ich zu meiner Tochter und jetzt bin ich es, der sie an die Hand nimmt und den Weg weist. Wir gehen ins Wohnzimmer wo meine zweite Tochter auf der Couch sitzt und heimlich grinsend auf einem runden, schwarzen Gegenstand herumdrückt.

„Guten Morgen“, sage ich.
„Was ist das?“, fragt Nummer zwei und hält mit den Gegenstand entgegen.
„Das, meine lieben Kinder“, sage ich, „ist die Fenix 5s plus.“
„Hä?“
„Ein neues Spielzeug…“
„Juhu! Super, Papi! Vielen Dank, Papi.“
Mein neues Spielzeug…“

Einmal über die Alpen fahren mit dem Fahrrad (Teil 3)

So eine Reise soll ja auch immer ein bisschen eine Reise zu sich selbst sein. Erkenne dich selbst und so weiter. Was meine geplante Alpenüberquerung angeht, klappt das schon ganz gut. Sogar schon lange vor der Abreise. So durfte ich eben entdecken, dass ich gar nicht, wie ich es eigentlich gerne glauben würde, ein Mann mit Prinzipien bin.

Der Reihe nach. Es begann mit einer Nachricht von meiner Krankenkasse. Meine Krankenkasse gehört eigentlich nicht zum Kreis derer, mit denen ich Nachrichten austausche. Die bekommen jeden Monat Geld von mir, ich bekomme alle paar Jahre von denen eine Karte mit meinem Bild drauf.

Das war’s.

Wobei das natürlich nicht ganz stimmt. Einmal stand ich nämlich doch ganz kurz davor, meiner Krankenkasse einen Brief zu schreiben. Einen geharnischten. Es ging um Homöopathie. Ich hatte das Bedürfnis, irgendjemandem mitzuteilen, dass ich überhaupt nichts dagegen hatte, wenn die Leute sich irgendwelche Substanzen einwarfen. Solange ICH nichts damit zu tun hätte. Sobald ICH jedoch für diesen Hokuspokus bezahlen sollte, hörte meine Toleranz auf, denn jeder Euro, den Krankenkassen dafür ausgeben, fehle an anderer Stelle und damit sei ICH als Beitragszahler nicht einverstanden und darum möge meine Kasse bitte damit aufhören, Aberglauben zu bezuschussen.

Wissen Sie, woher der Begriff Hokuspokus kommt? Nein? Es gibt da eine, unbewiesene, Theorie und die geht so: Womöglich steckt die Kirche dahinter. Wenn der Pfarrer in der Messe das Kunststück vollbringt, Oblaten in den Körper von Jesus Christus zu verwandeln, murmelt er dabei doch bekanntlich die Worte “Hoc est enim corpus meum“. Das soll unsere gläubigen Ahnen so sehr beeindruckt haben, dass sie die magischen Worte des Pfarrers, oder das, was sie sich davon gemerkt hatten, auch außerhalb der Kirche zu verwenden begannen und von da an dauerte es nicht mehr lang und „Hokuspokus“ wurde zur Standardansage für jede Art Gelegenheit, bei der dem Publikum ein gewisses Maß an magischem Grundvertrauen abverlangt wird.

Wie gesagt, ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich glaube es jetzt einfach mal. Denn der Glaube daran, dass sie es war, die mit Hokuspokus angefangen hat, macht mir die Kirche irgendwie sympathisch.

Zurück zu meiner Krankenkasse, von der ich also Post bekommen hatte. Es ging, das war auf den ersten Blick zu erkennen, um das Thema Gesundheitsprämien. Na toll, dachte ich, schon wieder Werbung für Mittelverschwendung und schaltete vorsorglich schon mal in den Empörungsmodus. Ich las weiter und tatsächlich, wenn ich an einer Reihe von Gesundheitsmaßnahmen teilnähme, stand da, hätte ich Anspruch auf eine von verschiedenen Prämien. Unter diesen Prämien aber fand sich nicht, wie von meinem argwöhnischen Ich vermutet, eine Schnupperstunde beim Heilpraktiker oder etwas ähnlich Anrüchiges. Dafür allerdings ein Zuschuss zu einer Sportuhr.

Auch wenn ich es nicht gleich erkannte: Das war der Punkt, an dem das mit der Erkenntnis anfing. Denn so eine moderne Uhr, das hatte ich seit meinem Besuch im Landkartenhaus herausgefunden, zeigt nicht nur die Uhrzeit und dazu ein bisschen Herzschlagschnickschnack an. Nein, moderne Uhren sind auch in der Lage, mir den richtigen Weg über die Alpen zu zeigen. Das Angebot meiner Kasse war genau das, was ich wollte – und damit kam ich meinem wahren Ich auf die Spur.

Ich fing an, das Schreiben genauer zu lesen. Je mehr ich las, umso mehr gefiel es mir. Da war zum Beispiel dieses Detail: Um mich für eine Prämie zu qualifizieren, sollte ich aus einer Reihe von Maßnahmen bloß drei auswählen und, das ist der Teil, an dem sich mich endgültig hatten, meine bei mir mitversicherten Kinder dürfen für mich mitsammeln. Um sicherzustellen, dass ich es richtig verstanden hatte, las ich es zwei Mal, aber es stimmte: Ich musste gar nicht selber zur Darmspiegelung oder so. Ich konnte einfach meine Kinder gesundheitlich voranbringen und sie, sagen wir, mal wieder zum Impfen schicken.

Impfen war gut, impfen kannten sie und irgendwas zu impfen fand sich immer. Vor allem aber bekamen die Kinder nach dem Impfen jedes Mal ein schickes Pflaster und sie durften sich zusätzlich auch noch etwas aus der Schatzkiste aussuchen. Dieses Mal bekämen eben nicht nur meine Schutzbefohlenen etwas zum Spielen, sondern zur Abwechslung eben auch mal derjenige, der hier jeden Tag den Schornstein am Rauchen hält. Also ich.

Ich fand das nur fair. Ich fand, da hätte man ja auch mal früher draufkommen können. Ich fand, eigentlich war das ja auch mal überfällig. Das war ja auch wirtschaftlich total sinnvoll. Prävention ist schließlich billiger. Gerade bei meinem Talent für Navigation und Orientierung. Wenn man mich ohne meine schicke neue Uhr in die Berge ließe – obwohl ich das Schreiben meiner Krankenkasse noch nicht einmal zu Ende gelesen hatte, bezeichnete ich die Uhr schon als „meine“ – würde ich ohnehin nur verloren gehen. Und worauf lief das hinaus? Dass ich am Ende orientierungslos und dehydriert auf irgendeinem Single Trail hing und gerettet werden musste.

Und was so ein Flug mit dem Rettungshubschrauber kostet, wusste ich. Ich hatte schließlich schon einmal einen gebraucht. Auch damals war ich Fahrradfahren gewesen in den Bergen. Gestürzt war ich, in einer engen Schlucht. Mit schwersten Verletzungen an Kopf und Rücken bergen und ausfliegen hatte man mich müssen. Zwei Wochen Krankenhaus hatte mir das eingebracht. Was das alles gekostet hatte! Allein der Flug mit dem Hubschrauber. So eine Stunde im Heli entsprach doch sicher dem Gegenwert von mehr als einem Kilogramm potenziertem Zucker. Es war doch für alle besser, wenn ich meiner Solidargemeinschaft noch so eine Rechnung ersparte. Sollten die mir mal schön meine Uhr zahlen, damit kamen sie auf jeden Fall billiger weg.

Sie haben es längst gemerkt und irgendwann ging auch mir ein Licht auf: Ich bin kein Mann mit Prinzipien, sondern ein ganz gewöhnlicher Opportunist. Aber immerhin demnächst mit einer praktischen Uhr am Handgelenk, tröstete ich mich, und rief bei unserem Kinderarzt an.

Ein Buch schreiben, VII

„Neugier war der Anfang.“ Das ist der Titel einer Geschichte, die ich geschrieben habe, während es mit einer anderen Geschichte gerade nicht so recht voran ging. An „Neugier war der Anfang“ gefällt mir zweierlei: Erstens, dass ich sie sagenhaft schnell geschrieben habe. Zumindest für meine Verhältnisse. Normalerweise brauchen meine Geschichten lange. Sehr lange.

Frage aus dem Publikum: „Wie lange haben Sie für Letzter gebraucht?“
Antwort des Verfassers: „42 Jahre.“
(Gelächter)
Frage aus dem Publikum: „Nein, im Ernst jetzt.“
Antwort des Verfassers: „42 Jahre. Ich habe mein ganzes bisheriges Leben dafür gebraucht, dieses Buch schreiben zu können.“
(Betretenes Schweigen, keine weiteren Fragen)

„Neugier war der Anfang“ hingegen entstand in wenigen Wochen. Das ist das eine, das mir daran gefällt. Zweitens gefällt mir an der Geschichte: die Geschichte.

Es gibt ja so einen Autorentrick, mit dem Sie sehr schnell dahinterkommen, wenn Ihre Geschichte nichts taugt und der besteht darin, die Geschichte laut vorzulesen und zwar, das ist das Entscheidende, mittelmäßig gut. Versuchen Sie nicht, Ihren Text durch die Leidenschaft Ihres Vortrags aufzuwerten. Lesen Sie Ihren Text in der Art desjenigen Vortragenden, so schnell wie möglich fertig zu werden gedenkt und sicherheitshalber exakt beim Manuskript bleibt.

Oder machen Sie es wie ich. Was jeder Autor braucht, sei ein Bullshit Detector, soll Hemingway gesagt haben und ich verfüge über das Glück, einen solchen in meinem Computer vorzufinden. In Ihrem steckt vermutlich auch einer. Er nennt sich „Sprachausgabe“ und ist in der Lage, Texte blutleerer vorzutragen, als irgendjemand sonst.

Habe ich also „Neugier war der Anfang“ von meinem Bullshit Detector vortragen lassen und was soll ich sagen: Die Geschichte hat mir immer noch gefallen.

Wie war’s in Grindelwald? (Teil 1)

Die Tage zählen, bis es endlich soweit ist. So viel davon erzählen, dass ich schon darauf hingewiesen werde, dass ich mich wiederhole. Trotzdem weiter davon erzählen. Nachts vor dem Einschlafen daran denken und dabei ins Kissen kichern. So ein Verhalten kenne ich sonst eigentlich nur von den Kindern, wenn sie bald wieder Geburtstag haben oder Popcorn angekündigt ist. Dass es mich packt, dieses Gefühl namens Vorfreude, ist die große Ausnahme, aber es gibt einen Ort, bei dem es mich, egal, wie oft ich hinfahre, ausnahmslos jedes Mal wieder von Neuem packt, wenn ein Besuch ansteht: Grindelwald.

Jetzt war es wieder soweit. Vier Jungs, drei Tage, zwei Nächte, eine Mission: Spaß haben im Schnee von Grindelwald. Fix gemacht hatten wir den Termin bereits im vergangenen Sommer. Ich hatte mich, da ich ja nun in die Planung meines AlpenX einsteige, als Orga aufgedrängt und mich schon mal um Unterkunft, Bahnverbindungen, Packliste und noch ein paar weitere Details gekümmert und spätestens seit Silvester machte sich die Vorfreude auch in Form eines kontinuierlich zunehmenden, projektbezogenen Datenaufkommens bemerkbar.

Was im Sommer noch überhaupt nicht abzusehen war: In den Tagen unmittelbar vor unserem Trip schien auf einmal alle Welt über Schnee zu reden. Wieviel Schnee ist in den Alpen schon gefallen? Wieviel Schnee wird noch fallen? Stürzen jetzt die Dächer ein? Gab es schon Lawinenopfer? Ist es überhaupt noch sicher in den Bergen oder wird das jetzt von den Medien übertrieben dargestellt? Es gab viel zu lesen und zu bedenken in diesen ersten, echten Wintertagen der Saison 2018/2019 und auch aus das direkte persönliche Umfeld klinkte sich in die Diskussion ein. Allerdings nicht in Form von Fragen. „Passt bitte auf euch auf!“ war auch kein Wunsch, der war eine Warnung.

Ob am vielen Schnee lag oder an den Medien oder vielleicht auch daran, dass ich gerade erstmalig einen LVS-Kurs absolviert hatte und damit nun zusätzlich sensibilisiert war – jedenfalls hatte es das mit der Sorge um unser Wohlbefinden in den Jahren zuvor nicht gegeben. Klar war, wer jetzt in den Schnee fuhr und sich nicht extra vorsichtig verhielt, war ein ganz heißer Anwärter auf die nächsten Darwin-Awards.

Aber wir waren ja vorbereitet. Wir hatten ja einen Plan. Wir wussten ja, was wir taten. Bei uns war ja alles unter Kontrolle.

Außer der Sache mit dem Parken. Ich war, wie gesagt, schon oft in Grindelwald. Was ich für diese Reise nicht eh schon wusste, hatte ich recherchiert. Zum Beispiel, wann der letzte Zug vom Tal auf den Berg fuhr. Alles andere wusste ich eh schon. Zum Beispiel, wo wir das Auto über Nacht abstellen würden. Nämlich da, wo wir es immer abgestellt hatten. Zehn Minuten wären reichlich Zeit dafür gewesen. Wäre nicht aus dem Parkplatz nicht eine Baustelle geworden (über die noch zu reden sein wird). Hätten wir nicht ausgerechnet die hilfsbereitesten Menschen Grindelwalds gefragt, wo wir denn nun parken könnten, die sich im Verlauf unserer Unterhaltung nicht nur als überaus hilfsbereit erwiesen, sondern auch als ebenso gründlich. Und ahnungslos.

Das Gute daran: So konnten wir gleich mal die wichtige Bergregel anwenden, schnell und entschlossen auf sich verändernde Bedingungen zu reagieren. Wir überließen unser Auto seinem Schicksal im Halteverbot und wuchteten unser Gepäck in letzter Sekunde in die Bahn.

Einmal über die Alpen fahren mit dem Fahrrad, Teil 2

Wenn ich mit meinen Kindern durch Freiburg radle, frage ich sie manchmal, wo wir gerade sind. Viele Orte kennen sie. Wo wir wohnen. Wo wir mal gewohnt haben. Kindergarten, Schule. Das Münster. Man könnte meinen, sie kennen ihre Stadt. Aber das tun sie nicht. Überhaupt nicht. Neulich habe ich ihnen gesagt, sie dürften mir mal zeigen, wie wir nach Hause kommen. Sie haben es nicht geschafft und das, obwohl wir schon zigmal auf dem Spielplatz waren, von dem es losgehen sollte und sie nur einmal an der richtigen Stelle abzubiegen hatten.

Genau so geht es mir mit den Alpen.

Ich kenne die Rigi, ich kenne den Säntis und den Titlis. Ich war am Matterhorn, ich bin über den Gotthard gefahren und ich war im Alpstein. Ich bin durch den Vierwaldstättersee geschwommen und bin in die Maggia gesprungen. Aber wenn ich, sagen wir, von Luzern nach Locarno finden müsste, wüsste ich nicht einmal, in welcher Himmelsrichtung ich zu schauen hätte.

Für jemanden, der die Alpen mit dem Mountainbike überqueren will, ist das natürlich nicht ausreichend, also habe ich den Ort aufgesucht, den lernwillige Freiburger in solchen Fällen aufsuchen. Ich war im Landkartenhaus.

Hinter diesem Fenster die Welt.

Das Freiburger Landkartenhaus. Wenn Sie es kennen, werden Sie jetzt wahrscheinlich an eines Ihrer ganz persönlichen Abenteuer denken, das vielleicht genau hier seinen Anfang genommen hat. Wenn Sie es nicht kennen, sollten Sie es bei nächster Gelegenheit einmal besuchen. Besonders groß ist es ja nicht, eigentlich, so von der Fläche her betrachtet. Aber aufgrund irgendeines Tricks, den zu durchschauen und nachzuahmen auf PoS spezialisierten Retail Store Consultants eine goldene Nase bescheren würde, wenn es ihnen denn gelänge, was nicht der Fall sein wird, verschieben sich bei Betreten des Ladens die Wände oder die Grenzen der Wahrnehmung oder die der Phantasie. Jedenfalls passt die ganze Welt in diesen kleinen Laden.

„Guten Tag“, begrüße ich die Mitarbeiterin. “Ich möchte gerne einmal mit dem Mountainbike über die Alpen, bitte. Gerne von Luzern nach Lugano. Nein, nach Locarno.“

„Einen kurzen Moment“, sagt die und Minuten später stapeln sich Karten und Bücher vor mir, die ich beliebig lange studieren, vergleichen und mit dem Finger abfahren kann. Das ist nicht nur gestattet, es ist ausdrücklich erwünscht. Zu diesem Zweck stehen in dem kleinen Laden sogar mehrere große Tische in angenehmer Kartenstudiumshöhe.

Ich tue, was ich sonst in keinem Laden tue, ich nehme mir die Zeit, nicht nur die Karten zu begutachten, sondern auch den Moment zu genießen. Es kommt schließlich nicht oft vor, dass ich mich fühle wie der Chef der National Geographic Society, der gerade Ziel und Zweck von Cooks nächster großer Reise definieren darf.

Eine Karte kaufe ich jedoch heute nicht. Noch nicht. Dafür muss ich erst noch weiter an meinen Träumen arbeiten. Aber eines weiß ich nach diesem Ausflug ins Freiburger Landkartenhaus schon mal: Wer mit dem Fahrrad von Luzern nach Locarno will, muss nach unten fahren und sich dabei leicht links halten.

Micro Adventure: Jemanden in einer Lawine finden (und rechtzeitig ausgraben)

Wer andere aus Lawinen retten will, sollte spätestens am Abend davor damit anfangen. Auf drei Dinge kommt es dabei an: eine Schaufel, eine Sonde und ein so genanntes LVS-Gerät, wobei LVS für Lawinenverschüttetensuche steht. Viele sagen zum LVS-Gerät auch einfach „Piepser“ und bevor es in den Schnee geht, so unser Ausbilder vom DAV Freiburg, habe sich jeder von der Funktionstüchtigkeit seines Piepsers zu überzeugen. Und damit umgehen können, muss man auch. Man könne das gar nicht genug betonen. Das sei enorm wichtig. 

Schon klar, denke ich etwas ungeduldig, genau deswegen bin ich ja schließlich hier: Um die Bedienung eines LVS-Geräts zu lernen. „Hier“ heißt im Schwarzwald, genauer gesagt auf dem Schauinsland. Nicht gerade Lawinengebiet Nummer eins, aber wir sind ja auch nur zum Üben hier und außerdem hat es immerhin in der vergangenen Nacht geschneit. Wir stehen daher in etwa 20 Zentimeter Neuschnee auf unserer Kuhweide und dann geht es auch schon los. 

Lawinenverschüttetensuchende auf der Kuhweide

Fünfzehn Minuten. Wer länger als fünfzehn Minuten unter einer Lawine begraben bleibt, dessen Überlebenschancen sinken rapide. Daher gehe ich, meinen von einem Freund ausgeliehenen Piepser in der Hand, nicht über unsere Kuhwiese, sondern renne und zwar wie geheißen im Zickzack. Dabei versuche ich, ein möglichst realistisches Lawinenszenario nachzustellen. Was einerseits schwierig ist: Nichts hier sieht aus wie Ernstfall. Andererseits gibt es da ja bekanntlich diesen guten Ratschlag. Akzeptieren, was ich nicht ändern kann. Ändern, was ich ändern kann. Zu den Dingen, die ich nicht ändern kann, zähle ich Schneelage, Wetterlage und Gelände. Zu den Dingen, die ich ändern kann, zähle ich mich. Beziehungsweise meine Einstellung. 

Ich arbeite an meiner Einstellung unter Zuhilfenahme eines in der Schnittmenge aus Gamification, Prokrastination und Ethik angesiedelten Gedankenexperiments namens Trolley-Problem. Sie haben bestimmt schon davon gehört. Das Problem gibt es in verschiedenen Varianten, oft geht es darum, ob ein fahrerloses Auto lieber ein Kind überfahren soll oder einen Obdachlosen. Vor einigen Jahren war eine andere Version populär, damals galt es abzuwägen zwischen einem entführten Passagierflugzeug und einem Stadion voller Fußballfans.  

Ich auf meiner Kuhweide denke mich in ein anderes Dilemma. Auf die Idee bin ich gekommen, als ich vorhin gelernt habe, dass moderne Piepser nicht nur ein Suchsignal senden können, sondern zusätzlich auch personenbezogene Daten. Das hat Folgen: Wer heute Lawinenopfer sucht, weiß nicht nur, dass da unten jemand liegt, sondern auch wer. Diese Innovation verwandle ich in Motivation. Da unten, denke ich mir, liegt nicht irgendein mir unbekannter Tourengänger, sondern, sagen wir, meine gesamte Familie. Und ich suche jetzt nach ihren Signalen. Auf meinem Display erscheinen dann die zugehörigen Namen. Und dann darf ich entscheiden: Wen grabe ich aus und wen lasse ich erst einmal liegen?   

Meine Einstellung ändert sich sofort. Ich – der Typ, der manchmal auf dem Parkplatz zwischen einem Carsharingauto und zwei Kindersitzen steht und am liebsten davonlaufen würde, weil ich nicht weiß, welchen Sitz ich auf welcher Seite einbauen soll – bin nun nicht mehr auf der Kuhweide, ich bin jetzt tief in den Alpen; ich suche nicht irgendein Schneehäuflein, ich suche meine Kinder; das hier ist kein Gaudi, es ist ein Kampf gegen den Weißen Tod. Die Zeit läuft, ich laufe, aber ich finde einfach kein Signal.  

Und dann ist die Zeit auch schon rum. 

Meine verschüttete Tochter (Symbolbild)

Atem- und ratlos stehe ich nun neben dem Schneehäuflein, das eben noch eine meiner Töchter war oder meine Frau. Unser Übungsleiter steht auch dabei. Auch die anderen Kursteilnehmer sind gekommen. Insgesamt sind wir acht. Wir stehen im Kreis. Keiner von uns kann sich erklären, was da gerade passiert ist, warum ich kein Signal gefunden habe. Jeder von uns zeigt mit ausgestreckten Arm auf den gleichen Punkt im Schnee in unserer Mitte, in der Hand, als würden wir versuchen, ein Bluetoothverbindung mit dem Schnee aufzunehmen, unsere LVS-Geräte, aber niemand von uns empfängt ein Signal. Der DAV-Lawinenpiepser, er bleibt stumm.  

Wir haben es versemmelt, Mittagspause. 

Nach der Mittagspause fangen wir unser Geländespiel von vorne an, dieses Mal mit Fokus auf das, was unsere Ausbilder die Feinsuche nennen. Feinsuche ist, wenn der Suchende das Signal des Verschütteten empfangen und sich bereits auf fünf Meter oder so genähert hat und dann die exakte Position bestimmt. Bei der Feinsuche soll man sich nicht schnell bewegen, sondern langsam. Eine genaue Positionsbestimmung, so lernen wir, dauert. Wir sollen den Geräten Zeit lassen. Und genau arbeiten. Nicht einfach irgendwo anfangen zu graben. Denn liegt der Verschüttete ein paar Meter tief unter dem Schnee, reicht schon eine kleine Ungenauigkeit bei der Suche und man buddelt am Opfer vorbei. Und Abweichungen gibt es, weil das Signal in Feldlinien verläuft, so lange, bis man sich praktisch direkt über dem Verschütteten befindet.  

Dann lernen wir noch sondieren, also mit einer langen Stange in den Schnee piepsen und erspüren, ob die Spitze auf Grund trifft oder auf Mensch und buddeln, allerdings, weil halt kaum Schnee liegt, jeweils nur theoretisch, also gar nicht. 

Mehr habe ich nicht behalten und wer genauer wissen will, wie man andere aus Lawinen rettet, kann sich das entweder anlesen oder besucht selber einen LVS-Kurs. Oder besser mehrere. Denn ein einziger Tag wie wir ihn auf dem Schauinsland verbracht haben, reicht gerade mal für Grundkenntnisse. Wer richtig ein richtiger Lawinenretter werden will, braucht noch viel mehr Ausbildung und vor allem viel von dem, was eigentlich keiner hier jemals sammeln will: praktische Erfahrung.  

Nachtrag:  

Macht Sie dieser Text unzufrieden? Vielleicht weil da noch eine wichtige Information fehlt? Weil jetzt einfach offen geblieben ist, wie es sein konnte, dass der vergrabene Lawinenpiepser nicht funktionierte. Und dann auf einmal irgendwie wohl doch?  

Dann geht es Ihnen wie mir.  

Ich habe jetzt drei Tage lang darüber nachgedacht und bin zu folgendem Ergebnis gekommen. Es gibt eine Erklärung dafür, warum der vergrabene Piepser kein Signal gesendet hat, aber dieser Grund ist keine technische Störung. Auch menschliches Unvermögen möchte ich gerne ausschließen. Stattdessen schlage ich eine andere Erklärung vor.  

 Und die geht so. Ein wichtiges Kursziel, das ich ja auch ganz an den Anfang dieses Texts gestellt habe, lautete: Man soll sich von der Funktionsfähigkeit seines LVS-Geräts überzeugen und man soll damit umgehen können. Ich vermute nun, dass diese wichtige Information, wenn mit dem Gerät alles glatt gelaufen wäre, einfach untergegangen wäre. Erst dadurch, dass es NICHT funktioniert hat, wurde uns klar, wie wichtig es ist, dass es funktioniert. Die DAV-Ausbilder sind also nicht nur echte Bergfüchse, sondern auch didaktisch clever. Trau da oben nichts und niemanden. Auch nicht dem DAV. Nicht einmal uns Ausbildern. So muss es gewesen sein, eine andere Erklärung kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Die Botschaft ist angekommen. Danke. 

… nichts begriffen

Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten.

Wer nichts zu befürchten hat, hat nichts zu verlieren.

Wer nichts zu verlieren hat, hat nichts zu lieben.

Wer nichts zu lieben hat, hat nichts…

(Ich habe dieses Gedicht – ist das eigentlich ein Gedicht? – leicht umgeschrieben, nachdem ich es im Literaturhaus Freiburg kurz vorgetragen habe und mir gesagt wurde, der bessere Schluss sei der, der da jetzt steht. Fand ich eigentlich auch schon immer. Allerdings fand ich auch schon immer, dass „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts begriffen“ die wichtigste Zeile ist: Wenn ich nur eine Zeile Platz hätte, die wäre es. Aus dem Grund wollte ich auf das „nichts begriffen“ nur sehr ungern verzichten. Bis mir einfiel, ich könne „Nichts begriffen“, wenn es mir schon so wichtig ist, ja auch gleich als Titel nehmen. Von da war es nur noch ein kurzer Schritt zu den (…) am Anfang und vor dem Titel und zack: fertig.)

Warum ab morgen alles besser wird!

Mit Prognosen für die Zukunft bin ich ja sonst eher zurückhaltend, vor allem, wenn sie mich selbst betreffen, aber in diesem Fall wage ich dann doch eine Ausnahme, weil Statistik.

Ich behaupte also: ab morgen wird alles besser.

Beziehungsweise, nicht ich behaupte das, sondern die Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello. Im Interview mit GEO sagt sie, es habe sich „immer wieder herausgestellt, dass die Kurve von Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden U-förmig verläuft – unabhängig von Familienstand, Einkommen oder Geschlecht.“ Weiter sagt sie, „in der Jugend fühlen sich Menschen tendenziell stark und zufrieden, leben beflügelt von Hoffnungen und großen Erwartungen. Ab Mitte 30 aber beginnen sie, Wunsch und Wirklichkeit immer häufiger zu vergleichen – und das Glücksgefühl nimmt stetig ab, bis es einen Tiefpunkt erreicht.“

Und war im Alter von  46 Jahren. Also: Schöne Grüße aus der Talsohle. Ab morgen geht’s bergauf!