Wenn ich mit meinen Kindern durch Freiburg radle, frage ich sie manchmal, wo wir gerade sind. Viele Orte kennen sie. Wo wir wohnen. Wo wir mal gewohnt haben. Kindergarten, Schule. Das Münster. Man könnte meinen, sie kennen ihre Stadt. Aber das tun sie nicht. Überhaupt nicht. Neulich habe ich ihnen gesagt, sie dürften mir mal zeigen, wie wir nach Hause kommen. Sie haben es nicht geschafft und das, obwohl wir schon zigmal auf dem Spielplatz waren, von dem es losgehen sollte und sie nur einmal an der richtigen Stelle abzubiegen hatten.
Genau so geht es mir mit den Alpen.
Ich kenne die Rigi, ich kenne den Säntis und den Titlis. Ich war am Matterhorn, ich bin über den Gotthard gefahren und ich war im Alpstein. Ich bin durch den Vierwaldstättersee geschwommen und bin in die Maggia gesprungen. Aber wenn ich, sagen wir, von Luzern nach Locarno finden müsste, wüsste ich nicht einmal, in welcher Himmelsrichtung ich zu schauen hätte.
Für jemanden, der die Alpen mit dem Mountainbike überqueren will, ist das natürlich nicht ausreichend, also habe ich den Ort aufgesucht, den lernwillige Freiburger in solchen Fällen aufsuchen. Ich war im Landkartenhaus.
Das Freiburger Landkartenhaus. Wenn Sie es kennen, werden Sie jetzt wahrscheinlich an eines Ihrer ganz persönlichen Abenteuer denken, das vielleicht genau hier seinen Anfang genommen hat. Wenn Sie es nicht kennen, sollten Sie es bei nächster Gelegenheit einmal besuchen. Besonders groß ist es ja nicht, eigentlich, so von der Fläche her betrachtet. Aber aufgrund irgendeines Tricks, den zu durchschauen und nachzuahmen auf PoS spezialisierten Retail Store Consultants eine goldene Nase bescheren würde, wenn es ihnen denn gelänge, was nicht der Fall sein wird, verschieben sich bei Betreten des Ladens die Wände oder die Grenzen der Wahrnehmung oder die der Phantasie. Jedenfalls passt die ganze Welt in diesen kleinen Laden.
„Guten Tag“, begrüße ich die Mitarbeiterin. “Ich möchte gerne einmal mit dem Mountainbike über die Alpen, bitte. Gerne von Luzern nach Lugano. Nein, nach Locarno.“
„Einen kurzen Moment“, sagt die und Minuten später stapeln sich Karten und Bücher vor mir, die ich beliebig lange studieren, vergleichen und mit dem Finger abfahren kann. Das ist nicht nur gestattet, es ist ausdrücklich erwünscht. Zu diesem Zweck stehen in dem kleinen Laden sogar mehrere große Tische in angenehmer Kartenstudiumshöhe.
Ich tue, was ich sonst in keinem Laden tue, ich nehme mir die Zeit, nicht nur die Karten zu begutachten, sondern auch den Moment zu genießen. Es kommt schließlich nicht oft vor, dass ich mich fühle wie der Chef der National Geographic Society, der gerade Ziel und Zweck von Cooks nächster großer Reise definieren darf.
Eine Karte kaufe ich jedoch heute nicht. Noch nicht. Dafür muss ich erst noch weiter an meinen Träumen arbeiten. Aber eines weiß ich nach diesem Ausflug ins Freiburger Landkartenhaus schon mal: Wer mit dem Fahrrad von Luzern nach Locarno will, muss nach unten fahren und sich dabei leicht links halten.