Im letzten Post habe ich gelogen. Ich habe behauptet, mehr Privileg als in Freiburg zwischen zwei Bergen zu wohnen, geht nicht. Geht aber doch. Besser als jeden Tag zwischen Rosskopf und Kybfelsen wählen zu können, ist es, zusätzlich zwischen zwei Mountainbikes wählen zu können, von denen das eine nagelneu ist.
Ich kaufe mir nicht oft ein neues Fahrrad. Das letzte Mal war vor zehn Jahren. Ein Hardtail von Cube, erstanden für 800 Euronen, war das die beste Investition, die ich je getätigt habe. Mehr Fun pro ausgegebenem Euro geht nicht. Ich bin mit dem Rad, sehr, sehr glücklich und fahre damit nicht nur jeden Berg, den ich by fair means, also von der Haustür weg und aus eigener Kraft, erreichen kann hoch und wieder runter, sondern ziehe auch die Kinder im Hänger durch ganz Freiburg. Manchmal mache ich auch beides, also die Kinder auf Berge ziehen.
Zehn Jahre. Das ist länger, als Hans im Glück seinem Herrn dienen musste, um sich seinen Goldklumpen zu sichern. Wieviele Handys ich in der Zeitspanne, in der mich dieses eine Fahrrad treu getragen hat, verbraucht haben mag, weiß ich nicht. Rechner? Müsste ich nachzählen. Wenn ich überlege, welche meiner Besitztümer länger in meinen Diensten steht als mein Fahrrad, fallen mir nur solche Sachen ein wie Kochtöpfe. Und immer noch schnurrt mein Rad zufrieden wie ein sattes Kätzchen.
So ein Fahrradleben mag lang sein, die Produktzyklen in der Branche sind es nicht. Die meisten davon waren mir egal. Ob die Räder um ein paar Zoll wachsen müssen und dann doch wieder ein bisschen schrumpfen, aber nicht so sehr, dass wir wieder bei der Größe ankommen, die früher alle hatten, war mir in etwa so wichtig wie die Frage, welche Ventile die Luft drin halten. Es war mir, Hauptsache ich stehe nicht irgendwann mit einer nutzlosen Pumpe oder der falschen Schlauchgröße im Wald. Den Sinn einer remote steuerbaren Variosattelstütze verstand ich zwar, aber so eilig hatte ich es noch auf keinem Berg gehabt, dass ich, oben angekommen, nicht zwei Sekunden erübrigen konnte, um meinen Popo vom Sattel zu nehmen und letzteren von Hand runterzuschieben. E-Bikes nannte ich beharrlich und zugegeben mit offen zur Schau gestellter Arroganz Mofas und wenn mich Freunde fragten, ob ich mal ihr Fahrrad fahren wolle, nur damit ich mal wisse, wie das sei, lehnte ich dankend ab. Manchmal insistierten sie. Ich sagte dann, ich würde ja auch keine fremden Frauen küssen. So ernst war mir das mit mir und meinem Fahrrad.
Und jetzt habe ich es doch getan. Ich habe mir ein neues Fahrrad zugelegt. Ein Trek Fuel Ex 8. Bevor ich davon erzähle, wie ich das finde, will ich kurz davon erzählen, wie und wo ich mir das Ding gegönnt habe. Falls Sie eh schon Ihren lokalen Fahrradhändler unterstützen, können Sie die folgenden Absätze gern überspringen. Das können Sie übrigens auch, falls Sie eh skrupellos beim Versender bestellen. Sollten Sie jedoch selbst einmal ein neues Fahrrad kaufen wollen und noch zwischen stationärem Handel und Internet schwanken, könnten Sie meine Erwägungen vielleicht interessieren und das ganz unabhängig von meinem persönlichen Ergebnis (ich war beim Händler um die Ecke).
Zunächst einmal, mein Kauf war nicht spontan. Ich möchte sogar behaupten, er war das absolute Gegenteil. Ich kann das sogar belegen. Noch bevor ich überhaupt damit angefangen habe, mich nach passenden Modellen und Angeboten umzusehen, habe ich mindestens tausend Mal daran gedacht, mir jetzt doch langsam mal ein neues Fahrrad zulegen zu wollen und das mit den tausend Mal ist nicht einfach so daher gesagt, sondern ein reichlich educated guess. Mindestens tausend Mal musste ich nämlich in den vergangenen Monaten mein silbern-rotes Illy-Classico-Ganze-Bohnen-Kaffedöschen aufschrauben und Kleingeld reinschmeißen, um das nötige Kapital zu akkumulieren. Andere lagern ihre Euro oder Zwei-Euro-Stücke in der Hosentasche, meine wanderten in die Kaffeedose, Stück für Stück, was dazu führte, dass ich mir wirklich, wirklich Zeit genommen habe, meinen Wunsch nach einem neuen Fahrrad zu prüfen. Außerdem bin ich währenddessen zum Synästheten geworden. Für mich riechen Fahrräder jetzt nach Frühstück.
Drei Dosen waren mein Ziel und erst als die voll waren, fing ich an, auf den Trails genauer hinzuschauen. Was fuhren die anderen? Ich begann, im Internet zu recherchieren und ich stieß erstmalig auf die Frage: Fachhandel oder Versender? Bei den Versendern gibt es zwei große Namen, Canyon und Radon und wer wissen will, was die Bikes des einen von denen des anderen unterscheidet und worin sich diese wiederum von den Marken unterscheiden, die es im Laden gibt, landet bei Tabellen. In diesen Tabellen geben die Hersteller an, welche Komponenten sie an ihren jeweiligen Modellen verbaut haben.
Das macht die Sache sehr transparent, denn die einzelnen Bikes können so sehr einfach verglichen werden. Die Hersteller setzen nämlich allesamt auf Komponenten, die sie bei anderen Herstellern einkaufen und diese Komponenten behalten den Namen, den sie von ihren Herstellern bekommen haben. Sie sind sogar klar und deutlich lesbar aufgedruckt. Man kennt das vom Auto, da kann ja auch jeder Passant jederzeit nachschauen, ob das Auto auf Reifen von Dunlop oder von Goodyear fährt oder mit Vredestein. Bloß dass sich beim Auto niemand dafür interessiert, aus welchem Hause die Bremse kommt. Oder die Federung. Oder die Schaltgruppe, wobei gerne darauf hingewiesen wird, dass bei dieser unbedingt auf die Einzelteile Kassette, Kette, Umwerfer, Kurbel, Schalthebel und Schaltwerk zu achten ist.
Beim Fahrradkauf jedoch sind genau diese Fragen von höchster Relevanz und da das in der Branche so schön transparent gehalten wird, muss, wer wissen will, was ein Fahrrad taugt, lediglich in Erfahrung bringen, wie ein Hersteller, seine unterschiedlich hochwertigen Federgabeln, Scheibenbremsen oder Sattelstützen nennt und, natürlich, wie das die Mitbewerber handhaben und wie die verschiedenen Komponenten von Hersteller A im Vergleich zu denen der Hersteller B, C und D abschneiden. Mir ist kein anderer Markt bekannt, auf dem so deutlich wäre, bei welchem Fahrrad ich den besten Deal für mein Geld bekomme. Wer will, kann sogar die Preise für die einzelnen Komponenten selbst nachschlagen und so Teil für Teil nachvollziehen, was ein Fahrrad wert ist.
Mountainbiken: ein Hobby, das seinen Anhänger auch für die Zeit nach der Ausfahrt jede Menge Beschäftigung verspricht!
Zurück zur Frage Versender oder Händler: Beim Versender, so das nicht zu leugnende Ergebnis der Komponentenvergleichsrechnung, gibt es das gleiche Bike wie im Laden bloß für sehr viel weniger Geld.
(Exkurs: Wenn Sie sich fragen, ob es denn überhaupt nicht darauf ankommt, an welchen Rahmen die Komponenten geschraubt sind: Das tut es nicht. Die Rahmen kommen eh alle aus den gleichen Fabriken – Asien, Sweatshop, Umweltsauerei vor allem bei Carbon – und wenn jemand das Gegenteil behauptet und sagt, bei Rahmen gebe es sehr wohl Unterschiede und zwar beträchtliche, dann lassen Sie sich doch dieser Person erklären, was diese Testzeitschriften eigentlich meinen, wenn sie von einer „modernen Sitzposition“ sprechen oder von einem „gefräßigen Rumpf“. Ich kann das nämlich nicht.)
Ich hätte also bei Canyon eingeben können, wie groß ich bin, wie lang meine Arme und wie lang mein Schritt und das Neuron 7.0 bestellen können, mit dem schon mein Mitcrosser Pronto glücklich ist. Der Preis hätte genau gepasst. Stattdessen habe ich aber erst einmal in den Läden hier in Freiburg nachgefragt, was denn bei denen im Rahmen meines Budgets vorrätig war. Wobei ich darauf hinwies, dass ich mich auch mit einem Vorjahresmodell begnügen würde.
In die Auswahl kamen drei Räder. Das Stumpjumper von Specialized, das Fuel Ex 8 von Trek und eins von Willier, einem Hersteller, von dem ich noch nie gehört hatte. Von allen drei Rädern konnte ich online nachschauen, wie sie ausgestattet waren (und die Listen einem Kumpel mit genug Ahnung schicken, um schnell zu- oder abraten zu können). Auch ob sie mir passen würden, konnte ich dank Größenkalkulator bequem daheim prüfen. Vielleicht ist das in anderen Städten anders, aber hier in Freiburg waren alle drei Läden unkompliziert erreichbar. Ich konnte einfach mal vorbeischauen, mich auf meine drei Räder draufsetzen und feststellen, dass das Willier, das mir laut Internet exakt passen müsste, für meine Größe tatsächlich viel zu klein war. Keine Ahnung, was die bei Canyon in Koblenz oder meinetwegen auch bei Amazon in Sachen VR oder AR in der Pipeline haben, aber im Jahr 2020 wäre die Erkenntnis, dass mir das Willier viel zu klein war, im Internet nicht innerhalb von fünfzehn Sekunden zu haben gewesen. Das also schon mal ein klarer Punkt pro lokaler Handel.
Blieben das Stumpjumper und das Trek vom Händler als Konkurrenz zum Versender-Canyon. Von der Ausstattung alle vergleichbar, lag das Stumpjumper um eine Dose über meinem Budget. Zu teuer eigentlich, aber wenn der Laden eh um die Ecke liegt und das Fahrrad fertig aufgebaut herumsteht… Das Trek passte im Laden gut, also ließ ich meinen Geldbeutel da und rollte vor die Tür. Zweiter Punkt pro lokaler Handel: Aufs Rad nicht nur aufsteigen, sondern tatsächlich darauf fahren.
Wobei dieser Punkt in der Theorie sehr viel besser klingt als in der Praxis. Denn bis zu unseren Trails waren es zwar vom Laden aus nur ein paar hundert Meter, aber dass ich das Rad nicht hinaus in die freie Wildbahn führen durfte, war klar. Es sollte auch nach meiner Testrunde noch neu sein. Also schnell raus und schnell wieder rein. Zurück im Laden fragte der sehr freundliche und bestimmt überaus gelehrte Verkäufer, wie mir das Bike gefalle?
Ich muss dazu sagen, ich bin einer der Menschen, die sich in Läden nicht besonders wohl fühlen. Einen neuen Anzug zu kaufen, finde ich ganz schwierig. Im Fahrradladen musste ich zwar vor keinem Spiegel posieren und es wurde auch nicht an mir herumgezupft. Aber wie sollte ich auf diese Frage kompetent antworten?
Ob ich es da draußen mit einem gefräßigen Hinterbau zu tun gehabt hatte, vermochte ich beim besten Willen nicht zu sagen und obwohl ich sogar extra am Biosk – dem Wasserloch, an dem viele Freiburger Mountainbiker nach dem Downhill ihre Bikes und ihre Schlammspritzer zur Schau stellen – vorbeidefiliert war und nachgeschaut hatte, wie sich andere Gespanne hielten, war auch Frage offen geblieben, ob ich selbst dabei eine moderne Sitzposition innehatte. Ehrlich gesagt war mir da draußen nur ein Gedanke durch den Kopf gegangen. Dass ich mich fühlte, als führe ich auf einem Kamel.
Nach der Probefahrt auf dem Stumpy ging ich per Pedes zum Biosk, holte mir einen Kaffee und sucht mir zwischen all den Aficionados mit ihren Hochleistungsmaschinen ein ruhiges Plätzchen zum Nachdenken. Ich resümierte. Erstens, ein Fahrrad zu kaufen, ist schwieriger als gedacht. Zweitens, das mit den Spezifikationen war mir zu kompliziert, da verließ ich mich besser ganz auf den Rat meines Kumpels. Drittens, ob das Gesamte aller Teile das für mich bestmögliche Gesamte aller Teile wäre, war vor dem Kauf unmöglich herauszufinden. Ich konnte nicht alle in Frage kommenden Modelle unter identischen Bedingungen so lange testen, bis ich genügend Erfahrung gesammelt hatte.
Es lief alles darauf hinaus, den Prozess zu vereinfachen. Ein akzeptables Angebot aufstöbern, das mit der Größe durch Probesitzen möglichst gut abschätzen und zuschlagen. Vielleicht würde ich das nächste Jahrzehnt nicht auf dem allerbesten aller für mich denkbaren Räder verbringen. Aber immerhin hätte ich eins – und zwar sicher kein schlechtes.
Ich sah mich um. Auf den Grünflächen rund um den Biosk abgelegt und an die Hecken zur Straße hin angelehnt parkten etliche Canyons, vielleicht prozentual sogar mehr als von jedem anderen Hersteller. Mit dem wäre ich auf der sicheren Seite. Wenn ich heute bestellte, käme es in ein paar Tagen bei mir daheim an. Pedale und Lenker festschrauben, sollte selbst mir gelingen und mein Grübeln hatte ein Ende. Mein Hobby war nicht übers Fahrradfahren grübeln, sondern Fahrradfahren. Die erstklassigen Trails rund um Freiburg nutzen. Die Borderline. Den Canadian. Den Badisch Moon Rising. Allesamt von Freiburger Bikern für Freiburger Biker angelegt – und nicht nur für die.
Als wir im Zuge einer sehr radikalen Besinnung auf lokale Urlaubsangebote unser Zelt auf dem Campingplatz Hirzberg aufgeschlagen hatten, parkte zwei Plätze weiter ein schicker VW-Bus mit Schweizer Kennzeichen. Der gehörte einem Pärchen, das einmal im Jahr extra zum Biken nach Freiburg fuhr und das obwohl sie selbst in den Alpen wohnten. Warum? Weil die Trails hier so geil sind. An die erinnerte ich mich jetzt. Und daran, dass sie selbstverständlich Mitglieder unseres Freiburger Vereins waren. Um ihn zu unterstützen. Weil sie dankbar waren, dass es ihn gab. Weil es die Trails, auf denen ich so gerne fahre, ohne unsere Community aus Bikern schlicht nicht gäbe.
Mit diesem Gedanken im Kopf ging in den letzten der drei Läden auf meiner Liste und dann ging auf einmal alles ganz schnell. Aus drei Kaffeedosen wurde ein neues Velo – und aus einem jahrelangen Hardtailfahrer wurde ein moderner, gefräßiger Kamelreiter.