Das erste, das ich am Quantum Industry Day in Switzerland wahrnehme, ist ein mobiler Raclettestand. Er steht recht prominent, ist man den roten Teppich abgeschritten, ist er die erste Station, vor der man landet. Darauf war ich gefasst. Raclette in der Schweiz: Soll mir keiner damit kommen, davon nichts gewusst zu haben.
Was schon eher in die Kategorie „Ich wusste nicht, dass ich das nicht wusste“, passt, ist der Stand mit der Rolex. Gut, Uhren gehören sicher mindestens ebenso sehr zur Schweiz wie Käse, aber anders als am Käsestand, bei dem es wirklich nur ums Essen geht, geht es am Uhrenstand tatsächlich um das Thema des heutigen Tages: kleinste Teilchen.
Leider ist gerade niemand von Rolex am Stand, um mir genauer zu erklären, was ich da sehe. Ich muss mich mit dem Poster begnügen und auf dem, wie so oft, wenn es um Quanten geht, wieder einmal eine sehr, sehr große Zahl im Mittelpunkt steht. Konferenzsprache ist Englisch, daher zitiere ich im Original. „The use of rubidium atoms as the frequency standard in our atomic clock, excited with visible (optical) light, allows for obtaining frequencies 100.000 higher than those of the best commercially available atomic clocks.”
Habe ich das also auch einmal gesehen. Etwas daneben kann man sich Kühlschränke aus Finnland erklären lassen. Bei den Ionenfallen ist leider wieder niemand anzutreffen, ich mache ein paar Fotos und beschließe, mir das Thema später im Eigenstudium zu erschließen. Bei IBM dann ein Exponat nach meinem Geschmack. Ein Buch. Ich blättere es einmal von vorne nach hinten und dann noch einmal von hinten nach vorne durch und lese mich schließlich fest an der Stelle, an der es um Quantum Advantage geht.
Bis vor einigen Tagen war mir der Begriff Quantum Supremacy geläufig. Ich habe schon an anderer Stelle darüber geschrieben. Die Idee ist, dass Quantencomputer herkömmlichen Computern überlegen sind oder eines Tages sein könnten. Streiten lässt sich nicht nur darüber, ob das schon so ist oder wie denn ein geeigneter Test überhaupt beschaffen sein muss, sondern auch darüber, ob der Begriff Supremacy überhaupt angemessen ist. Zuletzt hörte ich, es sei besser, von Quantum Advantage zu sprechen (womöglich, weil Quantum Supremacy an White Supremacy erinnert?). Besser sei Quantum Advantage. Heute erfahre ich, von Quantum Advantage spreche man nicht so gern. Besser sei Quantum Capabilities. Fortschritt auf der ganzen Linie, auch linguistisch.
Ein Ziel des Quantum Industry Day ist es, Forschung und Industrie zusammenzubringen. Soweit ich das beurteilen kann, gelingt das gut. Aus dem Vortrag von Dr. Maximilian Amsler von Bosch nehme ich mit, dass Forschung und Industrie bei Bosch sehr gut unter einem Dach zusammenpassen – und dass Bosch (ich glaube, mit Hilfe von IBM) bei der Materialforschung nicht irgendwann, sondern schon heute erfolgreich auf Quantencomputer setzt.
Sehr praxisnah auch der Vortrag von Dr. Barbara Wellmann von Deloitte. Was ich nicht wusste: Deloitte veranstaltet einen jährlichen Wettbewerb, die Quantum Climate Challenge. Dabei geht es darum, innerhalb eines festgelegten Problembereichs Lösungswege zu finden, die auf Quantencomputern basieren. Dieses Jahr ging es um Fluten. Im Jahr davor um die Bindung von CO2 mit MOFs. Davor um Flugreisen. Was nächstes Jahr kommt, ist noch nicht bekannt, wohl aber, dass jeder eingeladen sein wird mitzumachen.