Das Nashorn I

Ich bekenne mich dazu: Ich bin auch einer von denen, für die immer alles im Original sein muss. Ob Bücher oder Fernsehen, von Übersetzungen halte ich nichts und das obwohl ich Übersetzer bin. Ich bin sogar offizieller Übersetzer, so offiziell, dass ich einen Titel trage, den ich mir nicht einmal selbst merken kann („öffentlich bestellter und beeidigter Urkundenübersetzer für die englische Sprache in Baden-Württemberg“).

Ich war nicht immer so ein Snob. In den Neunzigern zum Beispiel war mir das noch egal. Da las ich die Bücher so, wie sie mir in die Finger fielen. Auf die Idee, mir umständlich ein Original zu bestellen und dann Tage später in dem selben Laden abzuholen, in dem ich die deutsche Ausgabe bereits in der Hand hielt, wäre ich nie gekommen. So war das in der kleinen Stadt ohne Internet und darum habe ich ausgerechnet von Douglas Adams nie irgendetwas im Original gelesen.

Ich schreibe „ausgerechnet“, weil meine Verehrung für Adams so weit ging, dass ich sofort an „Die Letzten ihrer Art“ denke, als ich im Basler Naturkundemuseum das Nashorn entdecke.

Fun Fact über mich: Wenn ich in einer Ausstellung vor einem Bild stehen bleibe, geht mein Blick zuerst immer nach rechts unten. Dahin, wo ich lesen kann, was es hier zu betrachten gibt. Das gilt nicht nur für Bilder, sondern auch für Nashörner, also schaue ich, vor dem Nashorn stehend, nach rechts unten und lese: „Breitmaulnashorn.“

Das ist der Moment, in dem ich über das, was ich eben aufgeschrieben habe, erstmalig nachdenke: Dass ich Adams nie im Original gelesen habe.

Bewusst wird mir das deshalb, weil ich an eine ganz spezielle Stelle in „Die Letzten ihrer Art“ denke: Darin, so meine Erinnerung, erklärt Adams, dass das so genannte Weiße Nashorn gar nicht weiß sei, sondern grau. Dass es trotzdem Weißes Nashorn genannt wird, liege daran, dass die, die es so nannten, die, die es bereits kannten, zwar gefragt hätten, wie die das Tier denn nannten, aber die Antwort falsch verstanden hätten. Anstatt „wide“, also „weit“, hätten sie verstanden „white“, also „weiß“.

So meine ich  mir das in den Neunzigern gemerkt zu haben und 2017 stehe ich im Museum und lese nicht „Weißes Nashorn“, sondern „Breitmaulnashorn“.

Wie kann das sein? Schnell heim und das Buch raussuchen. Tatsächlich steht da auf Seite 119:

„Was viele Leute, die nichts über weiße Nashörner wissen, an ihnen am interessantesten finden, ist ihre Farbe. Weiß ist es nicht. Nicht einmal annähernd. Es ist eher ein hübsches Dunkelgrau. Nicht mal irgendein helles Grau, das man gerade noch als nicht ganz lupenreines Weiß durchgehen lassen könnte, sondern ein schlichtes Dunkelgrau. Aus diesem Grund nehmen manche Leute an, die Zoologen seien entweder pervers oder farbenblind, aber das stimmt nicht; sie sind nur ungebildet. `Weiß` ist eine falsche Übersetzung des aus dem Afrikaans stammenden Begriffs `weit`, der `breit` bedeutet und sich auf das Maul des Nashorns bezieht, das breiter ist als das des schwarzen Nashorns.“

Finden Sie das interessant? Ich schon. Zumal ich ja nun, anders als damals, als das Buch herauskam, das gesamte Wissen der Welt per Mausklick abrufen kann. Ich surfe also über den Suchbegriff „Weißes Nashorn“ zur Wikipedia und lande auf der Seite „Breitmaulnashorn“, wo ich lese, „die teilweise gebrauchte Bezeichnung Weißes Nashorn“ leite „sich vom englischen Trivialnamen White rhinoceros ab.“

Aha.

Schnell will ich weiter zur englischsprachigen Wikipedia-Seite über Nashörner, was mich dank der links platzierten Rubrik „In anderen Sprachen“ nur einen Mausklick kosten würde, aber was steht dort in der Liste angebotener fremdsprachiger Artikel ganz oben? Afrikaans. Natürlich schlucke ich den Köder und was heißt wohl „Breitmaulnashorn“ auf Afrikaans?

Witrenoster.

Das finde ich nun merkwürdig, denn „witre“ mit „weiß“ oder „white“ zu übersetzen, finde ich überhaupt nicht naheliegend. Allerdings weiß ich natürlich auch nicht, wie „Witrenoster“ gesprochen wird. Andererseits: So anders als Deutsch scheint Afrikaans nun auch nicht zu klingen und so arg knifflig zu lernen, wird es auch nicht sein. Nicht für mich!

Denn nachdem ich mit dem Wikipedia-Artikel durch bin, könnte ich bereits eine Unterhaltung auf Afrikaans beginnen und zwar mit dem Satz: „Die witrenoster is een van die twee renosterspesies wat in Afrika voorkom.“ Sollte ich mal einen Afrikaanssprecher treffen, werde ich den Satz ausprobieren und für den Fall, dass es mir damit nicht gelingt, eine Plauderei in Schwung zu setzen, kann ich sogar noch nachlegen: „Die ander een is die swartrenoster.“

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