(Kurzes) Feedback zu Bachmann

Ich wurde um Hilfe gebeten in einer literarischen Angelegenheit. Es geht um den Bachmannwettbewerb, um den Gewinnertext. Der, der mich um Hilfe bittet, hat ein Verständnisproblem. Ihm fehlt der „rote Faden“. Er hat „Mühe, den Text zu verstehen“. Er würde sich „über ein (kurzes) Feedback freuen“.

Ob ich helfen kann? Und ob!

Ich habe da nämlich mal einen Kurs besucht. Wer’s mag, der mühsam zu verstehende Text ohne roten Faden, der hier beanstandet wird, heißt „Der Schrank“ und wurde von Brigit Birnbacher verfasst und in Klagenfurt vorgetragen. Kann man bequem per Mausklick herunterladen und überall auf der Welt lesen (auch mobil). Für das Verständnis des vorliegenden Hilfstexts ist die Lektüre der Primärquelle jedoch nicht erforderlich. Die sieben Punkte, die jetzt gleich kommen, gelten für alle Texte dieser Art. Und da, wo sie doch nicht gelten, ist es auch egal.

Startklar? Also, los geht’s!

Ich würde den Text, um mit Edgar Allen Poe zu sprechen, als Kurzgeschichte bezeichnen, also als Text, der „in one sitting“ gelesen werden kann, was ich für mich mit „auf dem Klo“ zu übersetzen pflege.

Ich habe den Text geprüft: Es geht um einen Schrank.

Ach, bevor wir zum Schrank kommen, noch ein paar Worte zu meiner Qualifikation. Ich bin kein Literaturkritiker, ich will auch gar keiner sein. Die sieben Punkte, die nun gleich folgen, habe ich folglich auch nicht in einem Kurs für angehende Literaturkritiker entnommen, sondern in einem für Leute gelernt, die am Telefon mit aufgebrachten Kunden zu tun haben. „Erfolgreich telefonieren“ oder „Beschwerdemanagement leicht gemacht“, irgendwie so wird der Kurs wohl genannt worden sein, wie genau, ist egal, es kommt schließlich auf den Inhalt an und der passt immer, egal, ob ich es nun mit einem fragwürdigen Angebot im Zusammenhang mit Telemediendiensten zu tun habe, mit einer nicht die Erwartung erfüllt habenden Zustellung oder, wie im vorliegenden Fall, mit Literatur ohne roten Faden.

Die sieben Schritte, so die Seminarleiterin, funktionieren bei jeder Reklamation.

Der erste Schritt: Bedanken.

Also, lieber Leser, lieber Kunde, vielen Dank, dass du den Schrank nicht einfach zurück und ihm womöglich eine schlechte Bewertung gibst! Vielen Dank, dass du dich an mich wendest und mir die Gelegenheit gibst, mit dir zusammen eine konstruktive Lösung zu finden! (Dass ich „den Schrank“ nicht geschrieben habe, ja bis gerade eben nicht einmal gelesen hatte, darf hier keine Rolle spielen. Auf keinen Fall soll derjenige, der die Beschwerde annimmt, demjenigen, der sie abgibt, damit kommen, er sei nicht zuständig; natürlich bin ich zuständig; ich bin immer zuständig. Sobald das Telefon klingelt oder das Chat-Fenster aufgeht, ist es MEIN Text“).

Der zweite Schritt: Verständnis zeigen.

Lieber Kunde, I feel you! Ein roter Faden ist wichtig! Verständnis ist wichtig! Gerade in der heutigen Zeit! Mühe hingegen, ganz besonders die Sorte Mühe, die nicht zum Erfolg, also zum Verständnis führt, nervt… Ich kann ein Lied davon singen! Wer kann das nicht! Wäre mir so ein Text untergekommen, ich hätte mich auch gefragt, was ich damit soll! Umso mehr, Danke, dass du dich an mich wendest und mir die Chance gibst, den Text zu erklären!

Der dritte Schritt: Hilfe in Aussicht stellen.

So ärgerlich dein Anliegen ist, so gewöhnlich ist es auch! Wir haben hier ständig mit Texten zu tun, die wir nicht verstehen! Wir haben schon vielen Leuten wie dir dabei geholfen, die ihnen vorliegenden Texte doch noch zu verstehen! Ich habe das gelernt! Du bist bei der richtigen Adresse gelandet! Ich bin mir ziemlich sicher, am Ende wirst auch du mit deinem Text zufrieden sein und ich hoffe sehr, dass du rückblickend sagen wirst: Die Auseinandersetzung mit diesem Text hat sich doch jetzt mal richtig gelohnt!!!

Der vierte Schritt: Einverständnis abholen für die nächsten Schritte.

Bevor ich hier die ganze Aufmerksamkeit für mich beanspruche: Bist du mit dem Verlauf unseres Dialogs zufrieden? Gefällt dir die Aussicht, dass Hilfe für dein Verständnis mit dem Text in Aussicht steht? Bist du bereit, diesen Weg zusammen mit mir zu gehen? Ist es okay für dich, wenn wir jetzt zusammen über den Text vom Schrank sprechen und ich versuche, dir zu erklären, worum es geht? Super! Danke! Kann man gar nicht oft genug sagen!

Der fünfte Schritt: Die Lösung unterbreiten.

Im Prinzip ist es ganz einfach! In der, salopp gesagt, Klogeschichte „Der Schrank“ geht es um einen Schrank! Dieser Schrank steht auf einmal unvermittelt in einem Mietshaus im gemeinschaftlich genutzten Flur! Gekoppelt ist dieses Ereignis an die Ankunft eines außenstehenden Beobachters, dessen Auftrag es ist, die bestehenden Verhältnisse im Mietshaus, insbesondere die prekär Beschäftigter zu erkunden! Die Ich-Erzählerin, beflügelt von diesen beiden Ereignissen sowie dem eigenen 35-jährigen Geburtstag, versucht sich ihrerseits an einer Beobachtung der Verhältnisse, wobei weniger das eigene Schicksal im Mittelpunkt steht, sondern vielmehr das eines namenlosen Paketboten, der dem Anschein nach vor einiger Zeit nahe ihrer Wohnung unvermittelt gestorben ist! Beflügelt ist vielleicht nicht das richtige Wort! Eigentlich ist sie eher ein bisschen in sich zurückgezogen! Achtung, ab hier bewegen wir uns schon im Bereich der Interpretation! Also eigentlich der Spekulation! Ob das für dich wichtig ist oder eher nice to have darfst du selber entscheiden! Du darfst dir auch eine eigene Interpretation zurechtlegen, so ein Stück Literatur unterliegt schließlich keinerlei EULA oder AGB oder sonstigen Beschränkungen! Der Schrank ist veröffentlicht! Er ist öffentlich! Er gehört jetzt dir! Hier ist, was ich aus der Geschichte ziehe: Mit dem Boten und dem Schrank bietet die Erzählerin zwei mögliche Auswege aus den bestehenden Verhältnissen, man könnte, A, daran zu Grunde gehen oder, B, sich in den aus einer untergegangenen Epoche, die in der gegenwärtigen Szenerie als fremd und befremdend wahrgenommen wird stammenden Schrank zurückziehen, sich also der Partizipation an den neuen Verhältnissen verweigern! Weiterführende Stichworte: Eskapismus, Historizismus, Gesang! Wie sich die Erzählerin entscheiden wird, ob sie sich überhaupt entscheidet, bleibt offen! Das ist oft so bei dieser Art Text!

Der sechste Schritt: Nachfragen, ob die Lösung so akzeptabel ist.

Lieber Kunde, passt das so für dich? Ich hoffe sehr, denn mehr kann ich im Moment leider nicht für dich tun! Wenn du tiefer in die Materie einsteigen willst, gibt es aber noch zwei Dinge, die du selbst unternehmen kannst! Du kannst, erstens, deine eigene Lebenssituation mit der der Ich-Erzählerin abgleichen und dich, zweitens, fragen, ob du dich darin wiedererkennst! Ja? Und du hast trotzdem immer noch Mühe mit dem Verständnis der Geschichte? Dann steckst du vielleicht selbst zu tief in den negativen Auswirkungen von New Work, um dich als in einem Schrank singende oder tot auf dem Abstandsgrün liegende Leiche zu sehen! In dem Fall bitte an der Selbsterkenntnis arbeiten! Nein? Dann bist du vielleicht, ohne es zu wissen, Teil des Problems! Kein Vorwurf1 Für’s Erste bist du dann wohl noch fein raus! Hoffentlich reicht’s bis zur Rente!

Der siebte Schritt: Verabschieden und um weiterhin gute Zusammenarbeit bitten:

Ich hoffe sehr, ich konnte dir mit deinem Text „Der Schrank“ von Birgit Birnbacher weiterhelfen! Viel Spaß noch damit! Wer weiß, vielleicht nimmst du ihn ja hin und wieder noch einmal in die Hand und findest ein bisschen Erhellung im sicherlich manchmal auch etwas dunklen Alltag! Wenn dir der Text gefallen hat, hoffe ich, dass du bald noch mehr Texte liest! Jeden Tag erscheinen viele neue Texte, nicht nur für’s Klo, auch für den Strand, für den Urlaub und auch zum Verschenken! Ich hoffe auch, dass ich dir heute ganz persönlich weiterhelfen konnte! Wenn ja, freue ich mich über eine positive Bewertung! Ich wünsche dir noch einen ganz tollen Tag!