Ja. Nein. Vielleicht.

In meiner Freizeit bin ich Wolf, genauer gesagt: Leitwolf. Diese Aufgabe nehme ich ernst. Ich habe sogar ein Buch dazu gelesen. Es heißt „Leitwölfe sein“. Darin steht, warum Leitwolf sein wichtig ist und wie man es richtig macht.

Soweit ich mich erinnere, ist die Antwort auf die Frage, warum das wichtig ist, einfach (weil die Welpen verlässliche soziale Kontakt brauchen), während die Frage, wie man es richtig macht, wie in guten Ratgebern üblich, zurück an den Leser gespielt wird: Jede für die Optimierung ihres Zusammenlebens in Frage kommende Familie kommt auf ihre eigene Art für die Optimierung ihres Zusammenlebens in Frage. Alle Wölfe sind ok, aber was für ein Wolf der Wolf sein will, muss er schon selber wissen.

Ich habe versucht, das Gelesene umzusetzen. Hier mein Erfahrungsbericht:

Der Teil mit dem ich selbst sein ist easy, das kann jeder. Dass ich ok bin und sie auch, lernen die Welpen schon im Kindergarten. Sie haben sogar schon mal so ein hässliches „Ich bin ich“ gebastelt.

Tricky ist der Teil mit der Verlässlichkeit. Vor allem, wenn ich etwas gefragt werde. Wenn ich etwas erlauben soll, wenn die Anfragen gehäuft eintreffen.

„Papa, dürfen wir uns schminken? Darf ich ein Eis? Dürfen wir auf den Balkon, Fahrrad fahren, ins Schwimmbad, nie mehr in den Kindergarten? Papa, darf ich malen, ein Kleid anziehen, Lego spielen, ein Hörspiel hören?“

Wer hier regelmäßig mitliest, kennt meinen guten Freund Cholo. Mit Cholo verbindet mich eine langjährige Freundschaft und dass diese Freundschaft zu den unkompliziertesten gehört, die ich führe, liegt an Cholos Standardantwort auf Vorschläge und Ideen aller Art. Wer Cholo etwas vorschlägt, darf davon ausgehen, dass seine Antwort lautet: „Das ist eine gute Idee.“

Und dann wird das gemacht.

Ein bisschen scheint Cholos positive Grundhaltung auf mich abgefärbt zu haben. Zumindest will ich das glauben, wenn ich die Standardantwort höre, die mir ohne groß nachzudenken aus dem Bauch heraus tönt, wenn sie mich mit ihren lebensfrohe Äuglein anschauen und ihre vielen, vielen Fragen abfeuern: ja.

Dann fange ich an, darüber nachzudenken. Was bedeutet das jetzt, wenn die das wirklich machen? Nach dem Schminken kommt das Abschminken, mit dem Eis kommen die Wespen, auf dem Balkon ist es zu kalt oder zu warm oder zu sonnig oder zu schattig, außerdem gibt es gleich Essen und abgemacht war doch etwas anderes und überhaupt wird mir das alles viel zu schnell viel zu viel und darum lautet die zweite, etwas wohlüberlegtere Antwort in der Regel: nein.

Dann tun sie mir Leid. So ausgefallen sind ihre Wünsche ja nun auch nicht! Was wäre eine Kindheit ohne Schminke? Fahrpraxis ist auch gut! Irgendetwas müssen wir ja mit unserer Zeit anfangen und außerdem handelt das Buch von Leit- und nicht von Verbotswölfen. Man muss ja nicht jeden Wunsch erfüllen. Man muss abwägen. Sich für eine Sache entscheiden. Gucken, was die anderen wollen. Eine angemessene Lösung finden und wenn uns das gelingt, wenn wir den vernünftigen Rahmen finden, dann gibt es gegen keinen der ohnehin charmant vorgetragenen Wünsche etwas einzuwenden. Es gibt halt keinen Freischein, aber wenn’s passt, warum eigentlich nicht? Darum lautet die dritte Antwort, die ich mir, die ersten beiden revidierend ausdenke, indem ich mir meinen ergrauenden Wolfsbart streiche: vielleicht.

Und so in etwas sage ich das dann auch.

Ob mein Modell nun eins ist, das ich anderen Familien empfehlen möchte? Eher nicht. Was für ein Wolf Sie sind, müssen Sie schon selber herausfinden. Ich jedenfalls bin vielleicht kein besonders entscheidungsfreudiger Wolf, aber immerhin einer, den seine Welpen gut kennen. So gut, dass die mittlerweile, wenn sie mich wegen irgendetwas um Erlaubnis fragen, die zu erwartende Antwort schon selber vorsingen: „Ja, nein, vielleicht. Ja, nein, vielleicht. Ja, nein, vielleicht. Ja, nein, vielleicht.“