Die ganze Welt ist ein Problem, außer man selbst

Es gibt Probleme, die mag ich. So sehr, dass ich eine ganze Halle davon haben möchte. So sehr, dass ich Geld für diese Probleme bezahle. Ich habe sogar ein Abo auf diese Art Problem und nehme so oft ich kann meine Töchter mit, auf dass sie sich an meiner Begeisterung für diese Art Problem anstecken, was schon allein deshalb überhaupt kein, äh, keine Herausforderung darstellt, weil diese Art Problem so schön bunt ist.

„Ich hab ein tolles neues Problem gefunden!“, ruft eines von uns begeistert und dann schauen die anderen mit offenem Mund dabei zu, wie das mit dem Problem versucht, es zu lösen und wie es wahrscheinlich daran scheitert, ein Scheitern, das mit einem satten Plumps des Popos auf den Boden seinen kichernden Abschluss findet und dann ist auch schon das nächste Problem dran.

Bouldern, das Klettern ohne Seil in Absprunghöhe: Eh ein toller Sport, mit Kindern doppelt und dreifach zu empfehlen. Das liegt nicht nur daran, dass beim Bouldern Eltern und Kinder, indem die einen die Gelben und die Grünen klettern und die anderen die Blauen oder die Orangenen (oder die Weißen, die Roten, die Schwarzen oder die Pinken, aber die kann ich nicht (oder wie die Kinder sagen „Die kannst du noch nicht“)).

Das liegt auch daran, dass beim Bouldern der ganze Mensch gefordert wird. Anfänger versuchen ihre Probleme mit Kraft zu lösen, heißt es, Fortgeschrittene mit Technik und Profis mit Köpfchen, aber das glaube ich nicht. Ich glaube, egal, auf welchem Niveau eins bouldert: Es braucht immer Kraft und Technik und Köpfchen.

Vor allem aber liebe ich das Bouldern, weil die Probleme hier so viel Spaß machen. Vielleicht kennen Sie das: Sie wachen nachts auf, weil ein Kind sich geräuspert hat oder weil Sie aufs Klo müssen, Sie erledigen, was Sie zu erledigen haben und dann? Liegen Sie da, hellwach, obwohl Sie doch dringend schlafen müssten. Was tun Sie jetzt? Grübeln und an Ihre Probleme denken?

Nun. Denken Sie doch beim nächsten Mal nicht an Ihr Problem mit der Steuererklärung, sondern an das mit den bunten Griffen. Warum? Weil es mehr Spaß macht. Und weil Ihr Gehirn beim Bouldern ein Kunststück vollbringt, das bei Ihrer Steuererklärung leider, leider nicht klappen wird: daran denken hilft.

Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, heißt ist, sieht irgendwann in jedem Problem einen Nagel und auch das glaube ich nicht. Ich glaube stattdessen, was meine Tochter letztens auf dem Heimweg nach einem Besuch in der Halle sagte. Wir fuhren gerade die Urachstraße hoch, kamen an diesem Steinklotz vorbei, der dort mit einer Gedenkplakette versehen auf der Wiese steht, ein ziemlich großer Steinklotz, einer mit vielen Kanten und Scharten und Verwinkelungen.

„Denkst du, was ich denke?“, wollte ich von ihr wissen. Sie nickte, dachte noch einen Moment darüber nach und schob dann einen Satz hinterher. Sie sagte: „Eigentlich ist die ganze Welt ein Problem. Außer man selbst.“

Genau der gleiche Satz war mir, nachts in meinem Bett vor mich hinstarrend, schon öfters selbst durch den Kopf gegangen. Wer kennt den Gedanken nicht: Die ganze Welt ein einziges Problem, außer man selbst. Ich hatte ihn sicher schon oft in meinem Leben gedacht, aber dass man ihn mit echter Begeisterung aussprechen kann und mit echter Vorfreude darauf, jedes einzelne Problem dieser Welt zu lösen? Das war mir neu.